Willkommen auf dem rissigen Asphalt des Lebens. Aussteigen ein Wunsch, ein Traum von vielen – oft geträumt bis zum Lebensende. Genauso vielfältig sind die
Gründe oder besser Abgründe. Doch eines dürften viele gemeinsam haben, sie wollen oder brauchen oder müssen etwas verändern. Das Leben so wie es aktuell fließt, fühlt sich nicht mehr richtig an,
eher wie ein Gebirgsbach nach einem Gewitter, so schlammig und trüb, dass man den Grund nicht mehr erkennen kann. Wenn die Liebe fehlt oder die Seele vor Schlägen schreit, dann sieht es so aus,
als sollten wir etwas verbessern um nicht vor die Hunde zu gehen oder um dem Leben wieder einen Sinn zu geben oder was auch immer … nur nicht weiter die alte Leier.
Eines vorneweg. Hier ist immer noch das Paradies. Gut es ist hier für viele auch nicht leicht, aber im Vergleich zu vielen Orten der Erde gibt es hier genug zu Essen, Trinken und Kultur und das meiste ist gratis. Selbst das Wetter geht noch irgendwie. Ausreden greifen also nicht. Der Mammon sollte auch kein Hinderungsgrund sein. Wenn es doch so scheint, dann sind wir zu sehr im Haben daheim oder feige oder schwach oder einfach noch nicht so weit. Das können wir ändern. Was also hindert viele daran einfach das Hamsterrad anzuhalten und auszusteigen und den goldenen Käfig zu verlassen.
Wo ist der verdammte Notaus?
Ein kurzer Abstecher zu mir: ich bin seit etwa 5 Jahren raus und der Weg aus diesem Labyrinth, ich nenne es gerne auch Alptraum, fühlte sich manchmal an wie bei diesen sieben Menschen, im Kinofilm Cube. Ein Aussteigen birgt auch Gefahren, denn es ist nach meinem Dafürhalten nicht für jeden die ideale Lösung. Ich würde sogar soweit gehen, dass ich meine, dass es für die Allerwenigsten gut und vernünftig ist.
Das Schwierigste am Aussteigen ist der gedankliche Prozess und das danach, der Moment nach dem Aussteigen, nachdem ihr es gemacht und geschafft habt. Es kann sein, dass sich euer Blick auf die Strukturen unserer Gesellschaft stark verändern wird. Wenn ihr auf dem einsamen Aussteiger Gipfel steht und jetzt absteigen sollt. Plötzlich ist man raus, raus aus den Zwängen der Firma, der Gruppe, dem Verkehr, den gewohnten Leuten und der Mainstream Strom der Massen zieht an einem vorbei. Man fühlt sich teilweise, wie ein Pinguin am Südpool der seine Gruppe verlässt und alle denken, was ist nur mit dem los und das kann nicht gut gehen.
Im Prozess des Ausstieges oder Abstieges was immer der einzelne auch darunter verstehen mag, werden wir auf Widerstände und Ablehnung stoßen. Manchmal sogar aus den engsten Reihen. Manche wollen uns zurückziehen, wieder in dieses schlammige Wasser in dem alle so dahintreiben.
Für mich bedeutete das Aussteigen, dass ich erstmal auf eine Insel ging, das Haus samt Inhalt verkaufte, das Haben reduzierte und den gut dotierten Job hinschmiss, obwohl ich fast 3 Jahrzehnte in meine Karriere investiert hatte und die meisten hielten mich spätestens jetzt für bekloppt, aber ich hatte da eine Stimme in mir die sagte: „Du bist satt, es hat keinen Reiz mehr noch mehr vom gleichen oder tote Dinge anzuhäufen.“ Mir reichte es wirklich. Was ich suchte war Ruhe, Kontemplation, LIEBE, eine neue Herausforderung und maximale Freiheit. Freiheit ist nur möglich, wenn das Wollen aufhört.
Freiheit ist nur möglich, wenn das Wollen aufhört. Das ist so wichtig, deshalb kommt es hier zweimal.
Drei Jahre ging ich dann auf die Insel und betrachtete von dort mein altes Leben, laß in den Sternen und war nach einiger Zeit sehr verwundert und ernüchtert, was ich doch so alles angestellt hatte um Erfolgreich zu sein und mein Ego zu befriedigen.
Es gab also eine Reflexion, die so nur stattfinden konnte, weil ich die Muse und nötige Stille dazu fand, denn im drehenden Hamsterrad hätte ich das nie geschafft und im Nachhinein bin ich sehr dankbar dafür. Ich gehöre nicht zu den Menschen die sich als erfolgreich betrachten oder ihr Leben als gelungen und würde rückblickend einiges ändern, aber dazu vielleicht in anderen Gedanken mehr. Das Aussteigen habe ich nie bereut.
Wer aktuell mit seinem Leben oder Dasein nicht zufrieden ist und vielleicht sogar psychische Probleme hat, wie um Himmels Willen sollte das nach dem Aussteigen besser werden? Wahrscheinlich handelt es sich hier um eine Utopie und Ego Falle. Manche träumen vom Auswandern. Wir reden uns die Dinge schön. Doch den Lebensrucksack nehmen wir überall mit und um noch deutlicher zu werden, für die meisten ist arbeiten nach der Stechuhr – dieses 9 to 5 Ding das Beste. Das Gros, das an mich herantritt, mit dem Wunsch auszusteigen, verweise ich darauf, dass sie die Säule einer geregelten Arbeit in ihrem Dasein erstmal nicht umstoßen sollen, denn ich mache mir bei diesen Menschen Sorgen, dass sich ihr Wohlbefinden dadurch eher verschlechtert.
Was ich aber allen empfehle ist etwas mehr Realismus. Schauen wir unser Leben genau an. Die alten Griechen nannten es Erkenne dich selbst, was fast unmöglich ist, denn wie wollen wir von außen in eine Burg blicken, dazu bräuchten wir einen Spion oder besser Therapeuten und das ist auch ein Rat, den ich hier noch unbedingt loswerden will. Liebe Zuhörerin und lieber Zuhörer bitte lassen sie sich helfen, wenn sie Probleme haben - holen sie sich professionelle Hilfe. Danke!
Jetzt aber wieder zurück zum Aussteigen, zum Prozess des Aussteigens. Dafür benötigen sie eine große Portion Radikalität. Ich hatte hier wieder Glück, denn ich arbeitete fast mein ganzes Leben mit Verbrechern und konnte oft genug sehen was es bedeutet radikal gegen die Gesellschaft und ihre Normen zu agieren und irgendwann war bei mir der Entschluss gefallen. Ich wollte Raus, weg und Tschüß und LMAA! Tatsächlich passierte das auf einer Reise durch die Toscana. Hier hatte ich auf dem Platz der Wunder in Pisa eine Eingebung. Alea iacta est – Die Würfel waren gefallen. Plötzlich hatte ich genug Radikalität in mir drin und zog es durch. Jetzt brauchte ich nur noch Ausdauer und eine andere Beschäftigung für mein Ego, denn das ist ein großes Problem beim Aussteigen.
Unser Ego ist wie ein Tamagotchi und wir müssen es unbedingt weiter füttern, sonst kann es sein, dass es Müll frisst und das Aussteigen wird für uns zum HORRORTRIPP. Das Ego von vielen, meines auch, ist wie eine Wüste. Es wird alles Schlucken und gierig aufsaugen was wie Regen aussieht, wenn ihr nicht aufpasst. Was ich damit sagen möchte Aussteigen bedarf unter Umständen Zeit, reifliche Überlegung, Vorsicht und dann ganz entschlossenen Willen und diese vielbeschworene Radikalität. Der Radikalität diametral entgegen steht aber unsere Konditionierung. Wir haben alle die gleichen Systeme und Konditionierungsanstalten durchlaufen und wir tragen ein enges Korsett wie Houdini und um die eigenen Ketten zu sprengen gehört schon was dazu. Mut und Kraft oder Entschlossenheit. Das ist also nichts für Couchies. Wir leben in einem panoptischen System wie Foucault schon ausführte. Es gibt einen Kontroll- und Überwachungszwang und wer außer der Reihe tanzt, merkt das gleich …
Kommen wir zum Fazit: Aussteigen ist nichts für Jedermann. Was ich euch empfehle ist folgendes: Räumt zuerst in eurem Leben auf, manchmal hilft das schon viel. Holt euch Hilfe, seid nicht zu feige, bequem oder stolz. Unterhaltet euch auch unbedingt mit Aussteigern, Überlebenskünstlern und Freaks am Rande der Gesellschaft. Wenn alles geordnet ist und ihr dennoch raus wollt (es spricht nichts dagegen, denn eigentlich gibt es keine Regeln), denkt an die Radikalität (daran scheitert es bei vielen), vielleicht macht ihr eine Reise nach Rom oder wohin ihr wollt, wie Goethe und dann steigt ihr aus und dann beginnt das größte Abenteuer in eurem Leben, das darf ich euch versprechen. Lasst alle Regeln, Normen und Moral hinter euch macht euch frei wie ein Vogel und vertraut darauf, dass es gut wird. Es wird gut weitergehen.
Ein Arbeitskollege bemerkte erst nach 2 Jahren, dass ich raus war und er rief mich an und sagte: „… du hast richtig Eier, was du abgezogen hast, dass schafft fast keiner.“ Er war der einzige, der das so formulierte und es freute mich, denn nach dem Aussteigen hagelte es eher Kritik und Häme und natürlich jede Menge Neid. In diesem Sinne: Alles wird gut! Ich möchte mit einem Zitat frei nach Dostojewski schließen:
„Die Menschen sind glücklich, die meisten wissen es nur nicht.“
Tschüß und geht raus zu Mutter Natur, denn das ist die beste Therapie.